Liebe Marieluise,
ich bin Sebastian Raible, studiere im siebten Semester Informatik an der
Uni Bremen und bin seit 2003 Grünen-Mitglied.
Heute schreibe ich dir aber in meiner Funktion als Mitglied im Chaos
Computer Club e.V. und Vorstandsmitglied im Chaos Computer Club Bremen
e.V. sowie als Aktiver beim Arbeitskreis gegen Internetsperren und
Zensur und beim Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.
In den vergangenen vier Wochen haben wir in Bremen massiv angefangen,
uns mit dem Thema Internetsperren zu beschäftigen. Denn unserer Meinung
nach sind die Sperren nicht nur das falsche Mittel für den Zweck, der zu
ihrer Legitimation angeführt wird. Sie sind schon jetzt auch dafür
vorgesehen, sie auf andere Bereiche auszudehnen.
Lass mich nur noch ganz kurz und oberflächlich auf die technische Seite
eingehen:
Wir müssen feststellen, dass - und so ist das auch im Gesetzentwurf zu
lesen - die jetzt geplanten Sperren lediglich zu einer "Erschwerung des
Abrufs" im Stande sind.
Will man Inhalte effektiv filtern, muss man in nächster Instanz tiefer
in die Netzwerk-Struktur eingreifen und die Vermittlung von Paketen an
bestimmte Zielrechner verhindern.
Da sich auch diese Sperre durch das Wechseln der IP-Adresse umgehen
ließe, müsste man dann anfangen, alle Inhalte, die über das Internet
übermittelt werden, einzeln auf Strafbares zu prüfen. Dazu müsste man
Verschlüsselung verbieten.
Die Zulassung der jetzt geplanten Sperren bedeutet unweigerlich den
Einstieg in eine Zensur-Spirale, an deren Ende ein Filtersystem stünde,
das wirksamer wäre als das in China.
Ich möchte damit nicht polemisch klingen, für mich und die
Unterstützerinnen und Unterstützer der Petition gegen die "Indizierung
und Sperrung von Internetseiten" ist dies aber die ganz klare
Konsequenz, wenn man ein funktionierendes Filtersystem für das Internet
umsetzen möchte, da andere Herangehensweisen unwirksam wären.
Was die Darstellung von tatsächlichem oder fiktivem Kindesmissbrauch und
- -misshandlung angeht, gibt es in Deutschland, in der EU, den USA, Kanada
und Australien eine Gesetzgebung mit schweren Straftaten für die
Verbreitung und Herstellung dieser Materialien.
Ich zähle diese Länder auf, weil sich nachgewiesen die Mehrzahl der in
Skandinavien blockierten Inhalte auf Servern in diesen Ländern befinden.
Es muss also auf Grundlage der bestehenden Gesetze und internationalen
Rechtshilfeabkommen gegen die Verbreitung und vor allem die Herstellung
der Darstellungen vorgegangen werden.
So würde effektiv erreicht, was die Sperren nicht leisten können.
Indem gegen die Urheber und Verbreiter vorgegangen wird, werden
gleichzeitig alle Kommunikationskanäle ausgetrocknet. Egal, ob sie
kontrolliert und gefiltert werden oder nicht.
Ich möchte dich deswegen, im Namen des Chaos Computer Club Bremen und
seiner Mitglieder, darum bitten, gegen die Sperrung von Internetseiten
zu stimmen und dich stattdessen für
a) die Stärkung von Präventionsangeboten für Pädophile, die keine
Straftäter geworden sind,
b) die Förderung der Ursachen- und Wirkungsforschung,
c) die Verbesserung der personellen und finanziellen Ausstattung von
Strafverfolgungsbehörden im Bereich von Sexualstraftaten und
d) die Reform der Strukturen in den Strafverfolgungsbehörden, damit
sexualisierte Gewalt gezielter verfolgt werden kann
stark zu machen und gegen die Sperrung von Internetseiten zu stimmen.
Zu diesem Thema würde ich mich freuen, auch mit dir persönlich in
Kontakt zu treten.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian
Über den Chaos Computer Club Bremen e.V.:
Der CCC Bremen ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein und sozusagen
der Bremer "Ableger" des CCC e.V. in Berlin.
Seit Ende 2005 treffen sich bei uns Menschen unterschiedlichen Alters
und unterschiedlicher Berufsgruppen aus Interesse an Technologie und
ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Im Moment veranstaltet der CCC Bremen eine Reihe von Vorträgen und
Workshops, die nächsten Termine sind:
23.06.2009: Technologie, Überwachung und Privatheit im historischen
Wandel (Ralf Bendrath, TU Delft)
30.06.2009: Internetzensur (Florian Walther, AK Zensur)
14.07.2009: Neusprech im Überwachungsstaat (Martin Haase, Uni Bamberg)
Mehr Informationen auf http://ccchb.de/