Freiheit statt Angst 06.11.2007/Rede von Ralf Bendrath
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Rede auf der Tag-X Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung
6.11.2007, Marktplatz Bremen
Ich habe Angst. Ich habe Angst um unsere Freiheit. Angst davor, dass wir uns zukünftig nicht mehr selbst bestimmt und ohne Überwachung bewegen können. Diese Angst wird von Politikern geschürt, die unsere Welt nicht verstehen. Die überall im Internet Terroristen sehen und selber Angst vor der digitalen, für sie unbekannten Zukunft haben! Die ständig argumentieren, das Netz dürfe kein rechtsfreier Raum sein.
Ja was ist denn mit der Post? Wird gespeichert, wer wem Briefe schreibt? Wird gespeichert, wer wann was im Fernsehen schaut oder wer wann welchen Artikel in einer Zeitung liest? Und was ist mit unseren privaten Gesprächen im Wohnzimmer, wird protokolliert, wer mit wem wann gesprochen hat? Das sind alles rechtsfreie Räume mit derselben bizarren Logik. Die Vorratsdatenspeicherung soll genau diese Pauschalüberwachung im digitalen Raum des Internet und des Telefonnetzes ermöglichen.
Auf solche Ideen kommen nur Politiker, die sich nicht selber im Netz bewegen. Innenminister Schäuble hat erst vor kurzem gelernt, dass das Internet keine Telefonanlage ist. Justizministerin Zypries fragt sich vielleicht immer noch, was ein Browser ist. Wirtschaftsminister Glos lässt sich das Internet ausdrucken, weil das mit dem Handy schon so schwer ist. Wir werden von Politikern regiert, die noch nicht im Netz angekommen sind. Die mehr Angst vor dem Unbekannten haben, anstatt die Chancen und Freiheiten zu sehen.
Wir wollen keinen Staat, der uns unter Generalverdacht stellt. Der ständig in unserem Leben rumschnüffelt und uns in Datenbanken rastert. Der ohne Verdacht unser Kommunikationsverhalten protokollieren will. Ich möchte mich nicht mit dem Bewusstsein im Netz bewegen, dass in einer Datenbank gespeichert wird, für was ich mich interessiere und mit wem ich kommuniziere.
Wer glaubt, dass Leute wie Wolfgang Schäuble irgendwann genug haben, der muss einsehen, dass das eine naive Annahme ist: Der Hunger nach Überwachung ist unersättlich.
Erst wollten sie unsere private und intime Kommunikation nur in Einzelfällen mitschneiden, wenn schwere Verbrechen geschehen sind.
Jetzt wollen sie vorsichtshalber alles aufzeichnen, von jedem unbescholtenen Bürger – man könnte es ja später mal gebrauchen.
Mit dem Gesetzesentwurf, der morgen im Rechtsausschuss des Bundestages beraten wird, soll die Vorratsdatenspeicherung auch bei leichten Vergehen wie Musiktausch im Netz oder Beleidigungen am Telefon genutzt werden – man hat die Daten ja ohnehin schon gespeichert.
Ach ja, wer es noch nicht mitbekommen hat: Die Geheimdienste werden ohnehin einen unkontrollierten Online-Zugriff auf alle vorratsgespeicherten Daten haben. Die technischen Pflichtenhefte dafür werden gerade entwickelt.
Und schon fangen erste Stimmen an, das Recht auf anonymen Internetzugang generell in Frage zu stellen.
Am Ende landen wir in einer Gesellschaft, wo man nur noch auf die Straße gehen darf, wenn man einen unter der Haut implantierten Positions-Chip hat, der alle Bewegungen aufzeichnet. Man weiß ja nie, ob man das nicht mal gebrauchen könnte.
Das ist die perverse expansive Logik der inneren Sicherheit.
Es geht dabei um Effektivität. Wenn wir eine 100% effektive Strafverfolgung wollen, dann müssen wir zu genau solchen Maßnahmen greifen. Damit bauen wir aber geradewegs die Infrastrukturen auf für einen Polizeistaat. Der Polizeistaat beginnt per Definition genau dort, wo gesellschaftliche Bereiche - wie etwa die Telekommunikationsnetze oder der öffentliche Raum - nach der Logik der Polizei umstrukturiert werden.
So eine Gesellschaft wollen wir nicht, weder online noch offline.
Ein demokratischer Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er nicht 100% effektiv ist. Das, was manche als unnötige Bremsen in den staatlichen Institutionen auffassen – die Notwendigkeit eines Richterbeschlusses, öffentliche Gesetzgebungsverfahren mit Anhörungen, ein Verfassungsgericht und so weiter – das sind genau keine Bugs, sondern Features! Sie bewahren uns vor dem 100% effektiven Staat, der immer auch ein autoritärer Staat wäre, und der im Bereich der inneren Sicherheit ein Polizeistaat würde.
Wir brauchen als freie Gesellschaft Räume, die nicht überwacht sind, wie die Luft zum Atmen. Das ist auch eine Lehre aus der Nazi-Zeit und dem real existierenden Sozialismus. Wer als Politiker noch mal mit dem Spruch ankommt, wir hätten ja nichts zu verbergen, der hat auch aus der Geschichte nichts gelernt. Der soll dann gerne seine Telefonleitung als Audio-Stream anbieten und den Internet-Traffic aus seinem Büro öffentlich zur Verfügung stellen! Vorher braucht er gar nicht wieder anzufangen mit solchem Geschwätz!
Was ist denn mit der anderen Seite der Gleichung? Die Überwachungsapparate haben ja offenbar auch etwas zu verbergen. Geheimdienste heißen ja nicht umsonst so.
Wir sollen unsere Daten hergeben, aber wir erfahren nicht, was damit angestellt wird. Hier besteht die strukturelle Ungerechtigkeit bei der Überwachung, die sich in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet hat. Das hat übrigens schon vor 35 Jahren ein Beratungsausschuss des amerikanischen Gesundheitsministeriums geschrieben, und es ist heute richtiger denn je. Ich zitiere: "Der Netto-Effekt der Computerisierung ist, dass es viel einfacher wird für datenverarbeitende Systeme, das Leben von Menschen zu beeinflussen, als für Menschen, die datenverarbeitenden Systeme zu beeinflussen."
Es geht um unser Leben im Netz und die Gewissheit, bei unserer privaten und öffentlichen Kommunikation nicht ständig vom Staat überwacht zu werden. Es geht darum, dass man sich auch weiterhin im digitalen Leben frei und offen entfalten kann. Dass man seine Meinung weiterhin ohne Angst frei äußern kann. Dass man weiterhin freie und anonyme Kommunikationswege hat. Wie beim privaten persönlichen Gespräch zuhause im Schlafzimmer, im Park oder im Cafe.
Noch kann etwas getan werden.
Wir werden weiter für unsere Freiheiten kämpfen, und wir werden täglich mehr. Daher habe ich nicht nur Angst, sondern bin gleichzeitig froh und optimistisch. Das liegt an Euch und allen anderen, die bei unserem Widerstand gegen die Überwachung mitkämpfen!
Als vor knapp zwei Jahren die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen wurde und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sich gründete, um gegen ihre Umsetzung in Deutschland zu kämpfen, waren wir ein kleines Häuflein der üblichen Verdächtigen – Datenschützer vom FoeBuD oder vom FIfF, Netzaktivisten vom Netzwerk Neue Medien und vom Chaos Computer Club, klassische Bürgerrechtler von der Humanistischen Union. Wir hatten eigentlich keine Chance, aber wir haben sie genutzt. Und mit der Hilfe vieler vieler Menschen im ganzen Land ist etwas richtig Großes entstanden.
Der Ak Vorrat hat heute mehrere hundert Mitglieder, über vierzig Ortsgruppen, eine Website mit dem Google Pagerank 6 (das ist soviel wie Spiegel Online) und ein Bündnis von Unterstützerorganisationen, in dem Computerfreaks an einem Strang ziehen mit Fussballfans, Gewerkschaftern, Seelsorgern, Ärzten und Journalisten – und in dem Linke, Grüne, Liberale und Piraten in friedlicher Koexistenz für die gemeinsame Sache kämpfen: Eine freie Gesellschaft.
Wir haben mehr als 7000 Vollmachten für eine Verfassungsklage gesammelt. Wir haben Unterstützungserklärungen von 35 Orts- und Kreisverbänden aus SPD und Union. Wir haben im September die größte Demonstration gegen Überwachung seit den Protesten gegen die Volkszählung vor zwanzig Jahren auf die Beine gestellt. Und heute demonstrieren mit uns in über vierzig Städten tausende von Menschen in ganz Deutschland.
Das Internet ist zum Glück nicht nur ein Trainingslager für Terroristen, wie uns EU-Kommissar Frattini gerade wieder weismachen will. Es ist auch und viel stärker ein Mittel der Demokratie. Wir haben unsere digitalen Tools. Und wir nutzen sie – um uns zu vernetzen, um stärker zu werden, um eine immer lautere Stimme in der Gesellschaft zu werden, um auf den Abbau unser aller Freiheiten hinzuweisen und ihn zurückzuweisen.
Momentan müssen wir noch gegen den Abbau der Freiheiten kämpfen. Aber das wird sich ändern: Wir wollen nicht weniger, sondern mehr Freiheit. Und auf dem Weg dahin wird uns weder Frau Zypries noch Herr Schäuble aufhalten. Wir werden täglich mehr, die immer lauter rufen:
„Freiheit statt Angst! Stoppt den Überwachungswahn!“